"MALEN TUT MIR GUT!"

Es war ein anstrengender Tag für Irene, eine meiner Klientinnen. Sie kommt zu mir in die Praxis und erzählt, was derzeit alles in ihrem Leben vor sich geht. Es scheint alles schwer, anstrengend und belastend zu sein. Wo ist nur das Licht am Ende des Tunnels fragt sie mich? In jedem Bereich ihres Lebens scheint eine Baustelle zu sein und sie weiß einfach nicht, wo sie beginnen soll aufzuräumen.

Irene kommt schon länger zu mir in Kunsttherapiesitzungen und kann schon formulieren, welche kreativen Medien sie heute gerne verwenden möchten. Ich frage sie: „Was brauchen Sie denn jetzt gerade?“. Irene antwortet selbstsicher und entschlossen: „Ich brauche einfach ein großes Papier, einen Pinsel und blaue Farbe!“.
Bereits an dieser selbstsicheren Reaktion kann ich erkennen, dass Irene in den vergangenen Monaten gelernt hat, ihre Wünsche und Bedürfnisse klarer und rascher zu äußern.

Zu Beginn unserer gemeinsamen Reise war das nicht immer so einfach, da Irene sehr unsicher war und meine kunsttherapeutische Arbeit noch nicht kannte. Gemeinsam richten wir den Arbeitsplatz für Irene her und holen alle notwendigen Materialien. Irene schleppt sich von einem Ort zum anderen und setzt sich schließlich mit einem lauten seufzen an den Tisch. Ich kann mich noch so gut an ihre Verfassung erinnern, weil ich genau und vor allem auch wertfrei darauf achte, welche Körperhaltung, welche Stimmmelodie, welche Körpersprache und welche Ausstrahlung meine KlientInnen in allen Momenten der Therapieeinheit haben. So kann ich Veränderungen erkennen und diese dann in der abschließenden Reflexion mitteilen.

Irene taucht zielsicher ihren breiten Pinsel in die blaue Farbe und beginnt auf dem Papier Spuren zu hinterlassen. Sie tut dies schweigend, doch bereits nach ein paar Strichen atmet Irene hörbar und tief aus und sagt ganz plötzlich und vollkommen überrascht: „Das tut sooo gut! Ich kann es gar nicht glauben, dass es so gut tut einfach nur Striche auf das Papier zu malen – aber es tut mir gerade einfach sooo gut!“. Sie lächelt mich an und arbeitet sogleich an ihrem Werk weiter. Ich kann bemerken, wie Irenes Schulten sich senken, ihre Atmung sich verlangsamt und sie vermehrt Ruhe ausstrahlt. Sie wirkt fröhlicher, leichter und scheint sich beim Tun wohl zu fühlen. Irene taucht vollkommen ins kreative Tun und den Prozess ein. Es ist wunderschön, ihr dabei zuzusehen.

Als wir nach dem kreativen Prozess das Geschehen reflektieren wirkt Irene noch immer über ihre neue Erkenntnis vollkommen überrascht. „Ich fand es so unbeschreiblich schön, dass das Malen mit der Farbe so gut getan hat.“. Ich beschreibe auch meine Beobachtungen, die ich während dem kreativen Prozess gemacht habe. Erleichtert geht Irene nach der Sitzung nach Hause. Sie wirkt gestärkt und ausgeglichener.
Wie schön, wenn meine KlientInnen solche Gewinne aus den Sitzungen mit nach Hause nehmen können! :)